Artikel aus den Lübecker Nachrichten, erschienen am Mittwoch, den 05.09.2018

 

Uniforscher fragen:

Wann ist Telemedizin sinnvoll?

 Projekt der Allgemeinmediziner – Hausarzt der Zukunft

 Von Michael Hollinde

 

Der Travemünder Allgemeinmediziner Ulrich von Rath bespricht mit Karola Tiedemann, die ausgestattet mit dem Telematik-Rucksack als Nicht-ärztliche Praxisassistentin (NäPa) Hausbesuche vornimmt, erhobene Patientendaten.

Quelle: John Garve/Agentur 54°

 

Lübeck

So könnte eine „Behandlung von morgen“ in Schleswig-Holstein aussehen: In Büsum sitzt ein Patient in der Hausarztpraxis. Der Weg zum Augenarzt ist ihm einfach zu weit. Doch auch beim Allgemeinmediziner kann er mit dem Augen-Experten sprechen. Denn per Videotelefonie ist der Spezialist aus der Kreisstadt beratend zugeschaltet. „Gerade in einem Flächenland können die Einsatz-Möglichkeiten der Telemedizin für Arzt und Patient mit einem echten Mehrwert verbunden sein“, betont Prof. Jost Steinhäuser, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin auf dem Lübecker Uni-Campus. Zukünftig gelte es, mehr ältere Menschen zu versorgen bei stetem Rückgang der dafür zur Verfügung stehenden Fachkräfte. „Daher bietet der Einsatz digitaler Technik die Chance, die wohnortnahe Gesundheitsversorgung zukünftig zusätzlich zu unterstützen“, so der Forscher.

Prof. Jost Steinhäuser, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni Lübeck, untersucht zusammen mit seiner Arbeitsgruppe den sinnvollen Einsatz von Videosprechstunden in der Arztpraxis. 

 

 

Quelle: Lutz Roeßler

Zusätzlich Hilfe per Video

„Dieses Gerät wird gerade vorbereitet, dass es nach Pellworm kommt“, erklärt Prof. Jost Steinhäuser und zeigt auf einen Monitor auf seinem Schreibtisch, auf dem eine kleine Webcam thront. Die Kamera soll eine Telesprechstunde beziehungsweise Videotelefonie ermöglichen. „Dabei geht es nicht darum, jemanden zu ersetzen, sondern einen Spezialisten beratend dazu holen zu können, um so den Zugang zur Versorgung zu verbessern“, betont der Wissenschaftler. Besonders bewährt hat sich die telemedizinische Konsultation in ländlichen Regionen bei akuten Erkrankungen, wenn die Patienten nicht in die Spezial-Praxis kommen können, da sie zum Beispiel auf einer Insel wohnen. Grundsätzlich müsse vor dem Einsatz aber erst mal alles technisch reibungslos laufen und die notwendige Qualität gewährleistet sein – „denn die Zeit, sich noch damit zu befassen, wenn es nicht läuft, ist bei den beteiligten Partnern nicht vorhanden. Die Abläufe in den Praxen sind eng getaktet“, weiß Steinhäuser. Insgesamt konnten bisher fünf Hausarzt- und zwei Augenarzt-Standorte für das zweijährige Projekt gewonnen werden. „Wir wollen nun als Wissenschaftler ergebnisoffen den zusätzlichen Nutzen von Telemedizin ergründen“, fasst der Institutschef zusammen.

 

 

Diplom-Psychologe Alexander Waschkau, der am Institut für Allgemeinmedizin in dem Forschungsprojekt mitarbeitet, betont: „Man muss sicherstellen, dass die Technik funktioniert, und die Abläufe müssen an den Regelbetrieb der Praxen angepasst werden. Telemedizin darf nicht als zusätzliche Belastung aufgefasst werden.

 

Quelle: Lutz Roeßler

 

Mit Telemedizin-Rucksack zum Patienten

 

Der Travemünder Allgemeinmediziner Dr. Ulrich von Rath hat seine Dependance im Hafenhaus am Skandinavienkai. Er macht sich viele Gedanken um die Gesundheitsversorgung der Zukunft und hat daher für sich und sein Team das Modell „Praxis 2025“ ausgerufen. „Die Arbeitsbelastung ist hoch, und es gibt massive Nachwuchsprobleme bei uns Hausärzten. Also muss man sich neue Konzepte überlegen“, sagt er. Ein Baustein darin ist nicht nur für ihn zur Arbeitsentlastung der Einsatz sogenannter NäPa’s – wie Karola Tiedemann. Sie hat sich als Medizinische Fachangestellte zu einer Nicht-ärztlichen Praxisassistentin fortgebildet. Ein bis zwei Mal die Woche unternimmt sie nun Hausbesuche. „Das sind immobile Patienten, die nicht in unsere Praxis kommen können und hier in der Umgebung meist auf Bauernhöfen leben“, erklärt sie. Auch sie profitiert nun von der neuen Technik und ist so an dem Uni-Forschungsprojekt beteiligt. „Ich nehme stets meinen Telematik-Rucksack mit, in dem sich unter anderem EKG, Blutdruck- und Blutzucker-Messgeräte befinden“, erläutert sie. Die aufgenommenen sogenannten Vitaldaten können dann in die Praxis übermittelt werden. Und über ein ebenfalls zum Rucksack gehörendes Tablet ist außerdem bei Bedarf ein Videokontakt zum behandelnden Hausarzt möglich.